Interview mit Diplom-BWLer Tao Qiu

Tao Qiu ist 45 Jahre alt und kommt aus Nord-China. Er lebt und arbeitet seit etwa 15 Jahren in Deutschland. Studiert hat Tao Qiu in China und in Deutschland Betriebswirtschaftslehre. Angestellt ist er derzeit in der Marketing-Abteilung eines deutschen Unternehmens. Im Interview mit Wei Fischer schildert Tao Qiu seine Eindrücke von dem „single-nation-country“ Deutschland und den Schwierigkeiten der Integration.

Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?

Ich wollte ins Ausland gehen, um eine komplett andere Kultur kennen zu lernen. Deutschland hat eine ganz spezielle Kultur, die viele Dichter, Philosophen und Künstler hervor gebracht hat, so dass ich mir dieses Land gerne ansehen wollte.

Haben Sie sich in den rund fünfzehn Jahren, die Sie nun hier sind, sehr verändert?

Menschen entwickeln sich stets weiter. Nur der Weg, wie Sie sich weiter entwickeln, ist unterschiedlich und abhängig davon, wo Sie sich gerade befinden.

In Deutschland habe ich sowohl meine Fachkenntnisse erworben, als auch viel von der hiesigen Kultur und der Lebensart erfahren, so dass ich nun eine viel breitere Perspektive habe, als wenn ich in China geblieben wäre.

Dieser Lernprozess hat natürlich auch meinen Charakter geformt. Man könnte sagen, dass ich nun zwei Charaktere entwickelt habe. Die deutsche Seite ist direkt und ehrlich. Die chinesische Seite ist eher zurückhaltend und indirekt. Je nachdem mit wem ich rede, dominiert eine dieser Seiten die andere.

Mussten Sie sich, nach dem Sie so viele Jahre in Deutschland verbracht hatten, bei der Rückkehr nach China erst wieder an das dortige Leben anpassen?

Als ich zum ersten Mal, nachdem ich acht oder neun Jahre in Deutschland war, wieder nach China ging, habe ich fast ein halbes Jahr gebraucht, um mich wieder an die chinesische Art zu gewöhnen. Ich hatte die deutsche Art schon zu sehr verinnerlicht.

Inzwischen bin ich im Wechsel der beiden Umgangsweisen gut trainiert, so dass jede für mich eine natürliche Ergänzung der anderen Seite darstellt.

Wie bewerten Sie die Entwicklung Chinas in den letzten Dekaden?

Alles hat zwei Seiten, auch die Entwicklung Chinas. Im Allgemeinen ist sie positiv zu sehen. Der Lebensstandard der Chinesen ist im Vergleich zu früheren Zeiten gestiegen, jedoch ist die Verteilung des Wohlstandes sehr ungleich geworden.

Andere Aspekte wie die Umweltverschmutzung oder Lebensmittelsicherheit sind aber auch sehr besorgniserregend.

Die chinesische Kultur hat sich sehr stark verändert in den letzten Dekaden. Wie stehen Sie zu diesen Veränderungen?

China hat einen erschütternden Wandel erlebt, den stärksten in seiner bisherigen Geschichte. Im Vergleich mit der traditionellen chinesischen Kultur fehlen der modernen chinesischen Kultur viele Aspekte der konfuzianischen Sittenlehre; beispielsweise Sitten und Werte, die moralische Fragen regeln.

Die Kultur verändert sich, weil dieser Wandel von außerhalb erzwungen wird. Manchmal ist der Wandel friedlich, manchmal eher revolutionär und gewalttätig.

Aufgrund des Drucks der Außenwelt bin ich davon überzeugt, dass Anpassungen notwendig sind, wobei ich zugeben muss, dass nicht alle Veränderungen richtig sind.

Welche Chinesen bleiben, Ihrem Eindruck nach, nach ihrem Studium in Deutschland?

Oh, das habe ich nicht wirklich analysiert. Aber meiner Einschätzung nach sind es eher Frauen als Männer. Natürlich gibt es dafür viele Gründe.

Zu den wichtigsten Gründen zählt, dass auf Männern einer höherer gesellschaftliche Druck lastet, eine erfolgreiche Karriere anzustreben.

Für Ausländer ist es häufig schwieriger, hier in Deutschland Karriere zu machen als in ihrem Heimatland.

Ebenso sind Frauen wählerischer bezüglich der Umweltbedingungen und hierbei schneidet Deutschland eindeutig besser ab als China.

Was unterscheidet ihre Generation von den Generationen davor, vornehmlich denen die zuvor nach Deutschland gekommen sind?

Viele aus diesen vorherigen Generationen kamen vornehmlich als Flüchtlinge nach Deutschland. Viele dieser Menschen haben dann beispielsweise ein chinesisches Restaurant hier eröffnet.

Der Großteil meiner Generation kam hingegen zum Studium nach Deutschland. Einige haben ihren Abschluss geschafft, andere haben ihr Studium aufgegeben. Letztere arbeiten nun oft im Bereich Handel, im Bereich Beratung oder in einer Reiseagentur.

Ich habe mein Studium bis zum Diplom fortgesetzt, da mir dies durch mein soziales Umfeld und meine Erziehung stark eingeprägt wurde.

Ist es für Chinesen schwer, sich in Deutschland zu integrieren?

Ja, es ist durchaus recht schwer. Zunächst ist da vor allem der riesige kulturelle Unterschied. Es gibt unzählige Differenzen, beispielsweise beim Essen, beim allgemeinen Umgang, der Denkweise, dem Verhalten und natürlich auch der Sprache im Ganzen.

Sich zu integrieren ist keine reine Frage der Zeit, sondern vielmehr des persönlichen Willens und Anspruches. Einigen Chinesen in Deutschland fehlt es am starken Willen sich zu integrieren.

Typischerweise ist die Entscheidung, Integration zu suchen eine sehr wichtige und weitreichende, da Integration auch stets bedeutet, dass bisherige Lebenserfahrungen in der anderen Kultur nicht mehr von Relevanz sind. Dies bedeutet auch, dass ein Teil der eigenen Persönlichkeit im Laufe dieses Prozesses verloren geht bzw. sich entsprechend des neuen kulturellen Umfeldes ändert.

Integration ist folglich eine zweiseitige Angelegenheit. Auf der einen Seite muss der Ausländer den Willen haben, sich zu integrieren. Andererseits muss die deutsche Gesellschaft jedoch auch offener werden und Integrationswillige wirklich akzeptieren und aufnehmen.

Deutschland ist ein „single-nation country“, d.h. ein von einer Kultur geprägtes Land, während in den USA, als eine durch viele Migranten geprägte Nation, der „Multikulti-Gedanke“ viel stärker von jedermann akzeptiert ist. Das Nebeneinander vieler Kulturen ist dort deutlicher ins Allgemeinbewusstsein übergegangen.

In Deutschland ist das anders. Als integrationswilliger Ausländer muss man die deutsche Kultur vollständig aufnehmen, um wirklich akzeptiert und integriert zu werden.

Vom Aussehen her werden Sie von Deutschen stets als Ausländer erkannt. Fühlen Sie sich deswegen unwohl?

Wenn man sein ganzes Leben hier bleiben will und dann jeden Tag als Ausländer empfunden wird, fühlt man sich wohl schon recht unwohl.

Aber mich kümmert das nicht, da ich schon von Anfang an geplant hatte, wieder nach China zurückzugehen, auch da meine Eltern dort leben.

Mein ursprünglicher Plan bestand folglich darin, hier zu studieren, einige Jahre Berufserfahrung zu sammeln und dann nach China zurück zu gehen.

Ihre Eltern sind einer der Hauptgründe, nach China zurück zu gehen?

Ja, da ich das einzige Kind meiner Eltern bin. Sie werden langsam alt und wenn ich nicht zurück gehe, wird sich eines Tages niemand um sie kümmern können.

Fühlen Sie sich stolz ein Chinese zu sein?

Jemand kann stolz auf die Kultur oder die Menschen eines Landes sein. Die Hochzeit der chinesischen Kultur ist seit Hunderten von Jahren vorüber; Kriege und Revolutionen, aber auch die mangelnde Erhaltung der Kultur haben dazu beigetragen, dass der Kern chinesischer Kultur zunehmend verloren ging.

China entwickelt sich im Moment noch, das gesellschaftliche Wertesystem und die soziale Gerechtigkeit sind jedoch noch nicht zufriedenstellend ausgeformt.

Es gibt zudem so viele Menschen in China, trotzdem kann ich nur wenigen davon wirklich vertrauen. Ich habe kein starkes Verbundenheitsgefühl mit diesen Menschen. Ich kann daher nicht sagen, dass ich sonderlich stolz bin.

 

Das Interview führte Wei Fischer. Der Name „Tao Qiu“ wurde von der Redaktion geändert

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