Dr. Y. M., 40, ist Leiter einer Forschungsabteilung eines großen deutschen Chemiekonzerns in China. Er ist in China aufgewachsen und hat Studien- und Arbeitserfahrung sowohl in China als auch in Deutschland. Dr. Y. M. hat berufliche als auch persönliche Erfahrungen mit uns geteilt.
Sie arbeiten in der Chemiebranche. Wie wir alle wissen, hat die Chemieindustrie Vieles in unserem Alltag einfacher und besser gemacht. Auf der anderen Seite birgt sie natürlich auch Risiken für Mensch und Umwelt. Wie stehen Sie dazu?
Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Natürlich brauchen wir chemische Produkte, sie sind schon Teil unseres täglichen Lebens geworden. Ich glaube, das Problem entsteht durch das Streben nach immer mehr Wachstum. Die Unternehmen und Shareholder erwarten stetiges Wachstum, um konkurrenzfähig zu bleiben und die Einkommen der Mitarbeiter zu sichern. So werden immer mehr und mehr Produkte entwickelt und vermarktet nur um Wachstum zu gewährleisten. Ich frage mich, ob dieses Wachstum wirklich Sinn macht und ob wir so viele Produkte benötigen. Sind wir doch mal ehrlich, viele Menschen kaufen immer wieder Dinge, die sie eigentlich gar nicht brauchen und ersetzen noch gute durch neue Produkte. Dieses Problem ist allgegenwärtig und existiert nicht nur in der Chemieindustrie.
Was die Verschmutzung angeht, die während der Produktion von chemischen Erzeugnissen entsteht, so ist es weniger ein Problem der modernen Chemie als solche, sondern eher eine Frage der Menge. Chemische Verschmutzung existiert schon lange. Früher als sie noch nicht das heutige industrielle Maß erreicht hatte, konnte die Erde dies noch verkraften. Heute bringen wir die Erde an die Grenze Ihrer Kapazitäten.
In China ist die Verschmutzung bekanntlich besonders hoch. Denken Sie ausländische und lokale Firmen tragen hierzu denselben Anteil bei?
Sicherlich verursachen kleinere lokale Firmen und auch Staatsunternehmen deutlich mehr Verschmutzung. Teilweise kann man dies sogar schon als Verbrechen bezeichnen. Meiner Meinung nach halten große ausländische Unternehmen die Umweltauflagen normalerweise strenger ein und sorgen auch für eine stärkere interne Kontrolle.
Können Sie mir, als Head of R&D, Gründe nennen, warum die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen in China noch kein hohes Level erreicht haben?
Zum einen wird in China weniger Geld in Forschung und Entwicklung investiert. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass man sich in der Forschung sehr stark und über eine längere Zeit spezialisieren muss, um etwas zu erreichen. Das ist in China nicht so einfach. In meinem Unternehmen verdient das Personal in China, welches der mittleren Führungsebene untergeordnet ist, nicht sehr gut. Des Weiteren ist der Gehaltsunterschied bei einem Wechsel enorm hoch. Die Konsequenz ist offensichtlich: Häufige Jobwechsel, denn nur so kann ein anständiges Leben in den großen Städten gesichert werden. Darunter leidet die Forschung, da man oft nicht lange genug in einem Bereich forscht.
Sie sind schon vor einiger Zeit von Deutschland zurück nach China gezogen. War dies eine schwierige Entscheidung für Sie?
Das war es definitiv. In Deutschland hatte ich ein komfortables Leben und musste mir nicht viele Sorgen machen. In China waren die einfachsten Dinge auf einmal kompliziert. Man braucht für alles die richtigen Kontakte und es gibt unzählige ungeschriebene Gesetze, an die man sich halten muss. Das fängt schon an wenn es darum geht zeitnah einen Termin bei einem guten Arzt zu bekommen. Auch sind die öffentlichen Verkehrsmittel überfüllt, ganz zu schweigen von der Luftverschmutzung und der Lebensmittelsicherheit. Ich musste zusätzlich so viel Energie für diese grundlegenden Dinge aufbringen. Das hat mir sehr zu schaffen gemacht.
Andererseits hat mir in Deutschland etwas gefehlt, was ich in China habe. Etwas Spirituelles, ich kann noch nicht einmal erklären was. Dieses Argument wog mehr als die materiellen Punkte und war entscheidend für mich.
Was ist Ihnen im Moment am wichtigsten in Ihrem Leben?
Für mich ist Karriere immer noch sehr wichtig. Ich möchte mein volles Potential entfalten und meinen Teil zu einer besseren Welt beitragen. Sehr wichtig sind mir natürlich meine zwei Kinder. Sie spielen eine sehr große Rolle für mich und ich setze alles daran, ihnen ein gutes, sicheres Leben zu bieten. Ich finde es schön, Zeit mit Ihnen zu verbringen, zu spielen und Ihnen etwas beizubringen. Sie lernen beispielsweise deutsch von mir und werden bikulturell erzogen. Früher war das natürlich noch kein großes Thema für mich, jetzt ist es das Wichtigste für mich.
Wenn Sie auf die erste Hälfte Ihres Lebens zurückschauen, würden Sie sich selbst als erfolgreich bezeichnen?
Ja, ich denke schon, dass ich mich erfolgreich nennen darf. Für mich persönlich bedeutet Erfolg, sein Wissen stetig zu vertiefen und zu erweitern. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen und die meisten meiner damaligen Spielkameraden wohnen noch immer dort. Ich hatte die Chance nach Shanghai zu gehen, dort zu studieren und später sogar nach Deutschland zu ziehen. Es war und ist mir immer noch möglich, meinen Horizont zu erweitern.
Viele technische Berufe sind auch heutzutage noch sehr starke Männerdomänen. Welche Rolle sollte Ihrer Meinung nach eine Frau heutzutage spielen?
Meiner Meinung nach gibt es keine feste Rolle für Frauen. Ich denke es ist am wichtigsten, dass jeder selbst weiß, was das Beste für einen ist. Man sollte sich nicht zwischen Karriere und Kindern entscheiden müssen. Nehmen wir meine Familie als Beispiel. Momentan bin ich derjenige, der das Geld nach Hause bringt und meine Frau kümmert sich um die Kinder. Ich hätte aber auch nichts dagegen die Rollen zu tauschen und mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Mir wäre es sogar lieb. Dann könnte ich mich auf meinen Traum – Bücher zu schreiben – konzentrieren. Der Wert einer Person sollte nicht über den beruflichen Status definiert werden. Beruflicher Erfolg ist nur eine von vielen Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen und etwas zur Gesellschaft beizutragen.
Könnten Sie uns kurz erzählen, über welches Thema Sie Ihr Buch schreiben würden?
Ich würde gerne die deutsche der chinesischen Denkweise gegenüberstellen und über die Lebenssituation in beiden Ländern berichten. Wissen Sie, es gibt so viele Missverständnisse zwischen den beiden Kulturen, die verhindert werden könnten. Ich war schon in mehreren Ländern unterwegs und konnte mir so einen guten Überblick verschaffen. Ich würde gerne meine Erfahrungen zu diesem Thema mit anderen teilen.