Interview mit CFO Xiaoyi Li

Xiaoyi Li ist Mitte 30, verheiratet und stammt von der chinesischen Ostküste. Seit mehr als 10 Jahren lebt er schon in Deutschland. Er hat nach seinen Studium in China auch in Deutschland im wirtschafts-wissenschaftlichen Bereich studiert. Derzeit arbeitet er in Deutschland als CFO China für einen mittelständischen deutschen Gussspezialisten. Im Interview mit Wei Fischer spricht er offen über seine ganz persönlichen Erfahrungen als hochgebildeter Ausländer in Deutschland.

1. Leben als Ausländer in Deutschland

Wie fühlen Sie sich als Ausländer in Deutschland?

Ich bin seit 13 Jahren in Deutschland und finde, dass man hierzulande im Allgemeinen Ausländern gegenüber freundlich ist. Seit ich hier bin, haben mich viele Deutsche unterstützt.

Obwohl Ausländer hier auch vor große Herausforderungen gestellt werden, insbesondere hinsichtlich Kultur und Sprache, entscheidet im Wesentlichen der eigene Charakter und Wille über den Eingliederungserfolg. Einige sind diesbezüglich offen, leider ist die Mehrheit der Chinesen hierbei jedoch zurückhaltend bzw. introvertiert.

Welchen Eindruck haben Sie von Deutschen?

Zu Beginn war es schwierig für mich, mit Deutschen in Kontakt zu treten, da man hier eher distanziert und zurückhaltend ist. Mit der Zeit hat sich das jedoch gebessert und es sind auch einige Freundschaften entstanden. Man sagt, die Deutschen seien mit einer Ananas zu vergleichen: außen hart und innen weich.

2. Erfahrungen während des Studiums

War es schwierig für Sie zu Beginn in Deutschland?

Als ich in Deutschland angekommen bin, gab es noch nicht so viele Chinesen hier. Viele waren auch nicht zum Studieren hier, sondern haben ihr Geld in Restaurants oder als Touristenführer verdient. Das lag weniger daran, dass sie nicht geeignet für ein Studium gewesen wären, sondern mehr daran, dass ihnen die Geduld für ein Studium fehlte. Hier konnten Sie 3000 DM pro Monat verdienen, was deutlich mehr war als das, was in China zu dieser Zeit möglich war.

Hinzu kam, dass zu dieser Zeit die wenigsten Chinesen die finanziellen Mittel hatten, ihren Kindern ein Studium im Ausland zu ermöglichen. Heutzutage werden oft die Kosten für Studium und Lebensunterhalt von den Eltern getragen.

Damals mussten wir erst Geld verdienen und konnten dann mit dem Studium beginnen. Ich habe in den Semesterferien verschiedene Ferienjobs gehabt und darüber besseren Kontakt zu Deutschen und der deutschen Kultur bekommen.

Warum haben Sie sich für Deutschland entschieden?

Ein Sandkastenfreund hat mir ermöglicht, nach Deutschland zu kommen. Wir waren eine vierköpfige Gruppe, wobei ich der Einzige bin, der das Studium erfolgreich beendet hat.

Als sich diese Möglichkeit auftat, hatte ich gerade mein drittes Studienjahr an einer chinesischen Hochschule begonnen, allgemein das Gefühl, noch nicht sonderlich viel gelernt zu haben und für mich auch keine besonders guten Berufsaussichten gesehen. Da dachte ich mir: „Warum nicht?“.

Ein neues Leben in Deutschland zu beginnen ist nicht einfach. Haben Sie je ans Aufgeben gedacht?

Das Studium war natürlich an sich schon nicht einfach und zudem fühlt man sich bisweilen auch einsam. Man muss aber einfach konsequent seinen Weg gehen und sich nicht entmutigen lassen. Statt mich mit anderen zu vergleichen, habe ich eher versucht mich selbst stetig zu verbessern.

Allen Chinesen, die die Absicht haben hier zu studieren, rate ich, sich zunächst darüber klar zu werden, ob es ihnen hier so gut gefällt, dass sie auch die nötige Hartnäckigkeit entwickeln können. Wenn ja, sollte man dazu stehen; wenn nein, sollte man es besser gleich lassen.

Ein ganz offensichtliches Problem ist, dass man während des Studiums kein Geld verdient. Die Jahre 2004 und 2005 waren diesbezüglich sehr schwierig für mich. So schwer, dass ich auf die Hilfe meiner Eltern zurückgreifen musste. Ab 2007 wurde es aber wieder besser. Ein Professor hat mich einem Unternehmen vorgestellt, bei dem ich meine Diplomarbeit schreiben konnte und das mich auch später eingestellt hat.

Welchen Unterschied haben Sie zwischen sich und Ihren deutschen Studienkollegen festgestellt?

Während des Studiums habe ich festgestellt, dass viele meiner deutschen Kommilitonen bereits erste praktische Erfahrungen gesammelt hatten. Beispielsweise haben viele bereits in ihren Praktika mit SAP-Software gearbeitet, während ich mich bei meinem Berufseinstieg bei null anfangen musste. Die meisten Ausländer haben weniger Berufserfahrung während des Studiums sammeln können.

Ein weiterer Vorteil für deutsche Studenten ist, dass Englisch und Deutsch ähnlicher sind als Chinesisch und Englisch, so tun sich die deutschen Studenten leichter im Englischen.

3. Berufserfahrungen in Deutschland

Haben Sie in Ihrem Berufsleben Unterschiede zwischen Chinesen und Deutschen festgestellt?

Die meisten Chinesen sind eher schüchtern. Sie denken erst genau nach, bevor sie etwas sagen. Wenn ein Chinese eine Aufgabe übertragen bekommt, wird er diese zunächst kritiklos annehmen ggf. aber später zweifelhafte Aspekte ansprechen und diskutieren.

Deutsche würden eher sofort die unklaren oder zweifelhaften Punkte ansprechen um Klarheit zu schaffen, selbst wenn sie die Gesamtaufgabe noch nicht perfekt kennen. Chinesen sollten lernen, Probleme schnell anzusprechen.

Nach meiner Erfahrungen arbeiten die Deutschen zudem sehr diszipliniert. Sie brauchen keinen Druck. Das System ist bereits gut organisiert, man braucht nur seinen Teil auszuführen wenn einem eine Aufgabe zugeteilt wird.

In China muss man hingegen viele Gespräche führen und Emails schreiben um zu entscheiden, wie etwas gemacht wird. In Deutschland machen wir im Controlling immer einen 5-Jahres-Plan, aber in China wissen wir nicht mal, was wir nächstes Jahr machen werden. In China gibt es ein Sprichwort: Veränderungen sind schneller als Pläne.

Ein anderes Beispiel: Wenn Chinesen miteinander Geschäfte machen, fangen sie mit dem einfachsten Problem an und besprechen das schwierigste erst ganz am Ende. In Deutschland fängt man mit dem Schwierigsten an. Wenn es nicht gelöst werden kann, braucht man den Rest auch nicht mehr zu besprechen.

Hatten Sie die Chance in eine mittlere Managementposition eines deutschen Unternehmens in Deutschland befördert zu werden?

Nicht wirklich.

Warum nicht?

Zunächst braucht man fünf bis zehn Jahre Berufserfahrung um auf eine mittlere Managementposition befördert zu werden. Das ist relativ schwierig für Chinesen. Die meisten Chinesen sind nach ihrem Studium bereits recht alt. Wenn Sie 3 bis 5 Jahre in Deutschland waren, denken die meisten daran, nach China zurückzugehen.

Selbst wenn sie wie ich in Deutschland bleiben, gibt es einen Punkt an dem es nicht mehr weitergeht. Natürlich möchte ich Abteilungs- oder Bereichsleiter werden. Ich glaube jedoch, dass die Chancen sehr gering sind.

Glauben Sie, dass das mit Ihnen oder mit Ihrer Firma zu tun hat?

Beides. Viele deutsche Firmen sind sehr konservativ. Sie wollen Sicherheit und nicht Wachstum um jeden Preis, wie es bei amerikanischen Unternehmen der Fall ist. Sie sind sehr stark auf ein Gebiet oder Produkt spezialisiert.

Welche Rolle erwarten deutsche Unternehmen von Chinesen?

Sie wollen nachhaltiges Wachstum in asiatischen Ländern und sehen, dass ausländische Arbeitskräfte hier Vorteile in Sprache und Kultur haben. Wenn Sie drei bis fünf Jahre Berufserfahrung in Deutschland haben, werden sie ins Ausland geschickt, um dort eine Produktionsstätte aufzubauen.

Wenn Ihr Arbeitgeber Ihnen die Chance gäbe, Abteilungs- oder Bereichsleiter in Deutschland zu werden, glauben Sie, der Aufgabe gewachsen zu sein?

Es gibt schon ein paar Zweifel. Der Kontakt mit den mir unterstellten Mitarbeitern wäre sicherlich nicht ganz einfach. Ich denke aber auch, dass das zum Teil auch Übungs- und Schulungssache ist. Viele Deutsche, die ich kenne, haben Schulungen und Kurse zur Verbesserung der Soft Skills besucht.

Selbst bin ich jedoch nie in den Genuss solcher Schulungen gekommen. Ich gehe davon aus, dass es für mich einfacher gewesen wäre, in China meine Karriere nach vorne zu bringen.

Was sind die Vor- und Nachteile von Chinesen in deutschen Firmen?

Die Vorteile von Chinesen werden offensichtlich wenn sie in den chinesischen Niederlassungen deutscher Firmen eingesetzt werden. Hier kommen Sprache, Kultur usw. zum tragen.

Selbst in meinem Job als Controller, der ja im Wesentlichen mit Zahlen zu tun hat, habe ich einige Vorteile in dem Sinne, dass mir die Interpretation der Ergebnisse und deren Umsetzung in Handlungsempfehlungen leichter fällt.

Der große Nachteil von Chinesen ist die Kommunikation mit Deutschen. Ohne gute Kommunikationsfähigkeit kann man in Deutschland kein Abteilungsleiter werden. Leute die als Ingenieure, Techniker oder in der Entwicklung arbeiten, müssen weniger kommunikativ sein.

Aber in dem Bereich Verwaltung und Administration ist Kommunikation sehr wichtig. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit, in diesem Bereich als Chinese befördert zu werden, relativ gering.

Wie sehen sie die chinesischen Firmen hier in Deutschland?

Ich habe gehört, dass es in chinesischen Unternehmen in Deutschland offene Stellen im mittleren und hohen Management gibt, aber ich möchte mich dort nicht bewerben.

Ich denke, dass deren Managementqualität mindestens fünf Jahre braucht, um auf deutschem Niveau zu sein. Mit diesem Managementsystem werden sie wohl noch viel Lehrgeld bezahlen müssen. Viele chinesische Unternehmen sind jedoch zu kurzsichtig. Sie wollen sofort Gewinn sehen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass sie zuerst geduldig mehr Managementqualität aufbauen müssen.

4. Arbeiten in China

Was ist die größte Herausforderung, wenn man zurück nach China geschickt wird?

Dieses Jahr war ich beruflich fünfmal in China. Ich komme mir teilweise recht blöd vor, weil ich so direkt spreche, wie ich es in Deutschland tue und weil ich teilweise die Zwischentöne im Gespräch mit Chinesen nicht mehr verstehe.

Für mich erweist sich daher der Kontakt mit den chinesischen Mitmenschen als auch der Kontakt mit politischen Vertretern als schwierig.

Ausländische Firmen in China oder Joint Ventures sind von ihrer Managementstruktur deutlich näher am westlichen Modell. In einem reinen chinesischen System hätte ich sicherlich viel mehr Schwierigkeiten, mich zurechtzufinden.

Wenn ich jetzt jedoch nicht nach China gehe, wird sich eine solche Chance wohl nicht mehr ergeben. Mit 40 oder 50 Jahren und einer Familie wird es deutlich schwieriger.

Welche anderen Unterschiede gibt es zwischen Ihnen und Ihren chinesischen Kollegen in China?

Ich habe meine Berufserfahrungen in relativ internationalen Firmen gesammelt. Im Gegensatz zu anderen Chinesen glaube ich, einen etwas erweiterten Horizont zu haben, sodass ich ein Problem von mehreren Seiten betrachten kann.

Die Arbeit und das Studium in Deutschland haben mich diesbezüglich gestärkt und diese Erfahrung möchte ich für mein nächstes Ziel nutzen: Die Verantwortung für eine Produktionsstätte in China übernehmen und dort nachhaltiges Wachstum und Gewinn erzielen.

Wie hoch sind die Gehaltsunterschiede zwischen Deutschland und China?

Meiner Meinung nach wird der Unterschied zwischen Managern und Arbeitern in China stetig grösser werden. Der Unterschied zwischen Deutschland und China wird jedoch abnehmen. Innerhalb der nächsten zwanzig Jahre wird das Gehaltsniveau in China aber nicht das Deutsche erreichen.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Autoindustrie in China?

Die Automobilindustrie wird in den nächsten zehn Jahren in China wohl sehr stark wachsen. Danach wird der Markt stabil bleiben. Zurzeit ist die Konkurrenz relativ stark. Selbst reine Hersteller von Rollern oder LKW entwickeln nun PKW. Der gesamte Markt ist im Umbruch. Dieser muss zuerst vollzogen werden, bevor sich die Verhältnisse stabilisieren.

Viele chinesische Unternehmen möchten qualitativ gute Autos produzieren. Sie investieren stark in Produktionsmaschinen, in Technologie – vorrangig aus dem Westen. Aber das größte Problem in China ist eher der Immobilienmarkt. Wenn dieses Problem nicht gelöst werden kann, wird es schwerwiegende Auswirkungen auf den Rest der Wirtschaft haben.

5. Leben in China und Deutschland

Was hat Sie in Deutschland beeindruckt?

Die deutsche Gesellschaft ist sehr fair: wenn man sich anstrengt, wird man belohnt.

Das funktioniert so nicht in China. Wenn man nach China zurückkommt, sieht man sich mit politischen Problemen, Umwelt- und Lärmproblemen konfrontiert. Auch Bildung ist ein Problem. In Deutschland ist es ruhig und stabil. Hier kann man das Wasser aus dem Wasserhahn trinken!

Was ist gut in China?

Wenn man in China „Guanxi“, also Verbindungen und Kontakte, hat, dann ist alles viel einfacher. In Deutschland muss immer alles nach Protokoll laufen. Abkürzungen gibt es nicht.

Aber das ist ja dann „unfair“?

Lacht!

Denken Sie, dass Sie gut in die deutsche Gesellschaft integriert sind?

Ich denke schon, dass ich mich integriert habe. Ich habe mich an das Essen gewöhnt und viele Freunde hier gewonnen.

Leider konnte sich meine Frau bis jetzt noch nicht integrieren. Einige Leute können sich integrieren, andere nicht. Manchmal denke ich, dass ich gerne in China leben würde, aber sobald ich einige Tage wieder dort bin, realisiere ich, dass mir Deutschland besser gefällt. Ich fühle mich ganz anders, wenn ich in Frankfurt ankomme.

Was würde Sie dazu bringen zurück nach China zu gehen?

Die Hauptvoraussetzung ist natürlich eine sehr gute berufliche Basis. Mein heutiges Unternehmen kann mir eine solche Basis bieten. Ich kann nicht einfach kündigen und ohne Basis und gute Karrierchancen zurückgehen.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, für immer in Deutschland zu bleiben, würden Sie es tun?

Ja, das würde ich. Deutschland ist meine zweite Heimat. Aber das müsste ich mit meiner Frau besprechen.

 

Das Interview führte Wei Fischer. Der Name „Xiaoyi Li“ wurde von der Redaktion geändert.

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