Interview mit Sinodirektor Dr. Jun Ren

Herr Ren hat acht Jahre in Deutschland gearbeitet, seit vier Jahren arbeitet er nun für ein deutsches Unternehmen in China. In seiner Funktion übernimmt er die Verantwortung für den chinesischen Markt. Dadurch hat er sowohl mit privaten als auch mit staatlichen Unternehmen zusammengearbeitet und ein breites Spektrum an Erfahrungen gesammelt.

Deutschland und China unterscheiden sich in sehr vielen Aspekten. Welcher dieser Unterschiede ist ihrer Meinung nach am stärksten ausgeprägt?

Deutschland ist ein entwickeltes Land und hat eine sehr reife Gesellschaft. Unabhängig davon was man tut, ist alles geregelt und jeder hält sich daran. Im Vergleich dazu ist China noch stärker in einem Entwicklungsprozess. Die Menschen leben in einer Grauzone zwischen Gesetz und sozialen Konventionen.

Das führt dazu, dass die Regierung große Projekte in Auftrag gibt, ohne genau zu wissen, wie man die Ziele erreichen soll. Dieser hohe Grad an Flexibilität steht dem Fortschritt sehr oft im Weg.

Sie haben sowohl Erfahrungen mit deutschen Unternehmen als auch chinesischen Staatsunternehmen als Kunden. In welcher Hinsicht unterscheiden sich diese Unternehmen Ihrer Erfahrung nach?

Ich möchte diese Frage durch ein Beispiel indirekt beantworten.

Wenn ein deutscher Kunde hinsichtlich eines bestimmten Produktes bei uns anfragt, wird dieser sehr genau sagen, was für ein Produkt er benötigt. Er wird konkrete Daten oder Aufgaben benennen können.

Ein chinesischer Kunde, der ebenfalls nach einem bestimmten Produkt fragt, wird dagegen sagen, dass er das beste Produkt möchte und das dieses auch günstig sein soll, d.h. für Chinesen sind Preis, Bekanntheit und  Beliebtheit der Marke deutlich wichtiger für die Kaufentscheidung als die Produkteigenschaften, die bei Deutschen meist im Vordergrund stehen.

In der Hoffnung, sich die Schlüsseltechnologien  anzueignen, arbeiten Chinesische Staatsbetriebe mit deutschen Unternehmen zusammen. Die Chinesen haben dieses Ziel nicht erreicht, was glauben Sie, sind die Gründe dafür?

Ja, sie arbeiten zusammen, aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Die Erwartungen der Chinesen haben sich nicht erfüllt. Obwohl es sich um gemeinsame Projekte handelt, behalten ausländische Unternehmen das essenzielle Wissen, an dem die Chinesen interessiert sind, meistens unter Verschluss.

Auf der einen Seite ist es durchaus nachvollziehbar, dass es im Interesse der ausländischen Unternehmen liegt, dieses Wissen für sich zu behalten; aber auf der anderen Seite waren die Menschen in den Staatsbetrieben auch nicht sonderlich motiviert, von den ausländischen Partnern dazu zu lernen.

Die Verantwortlichen in hohen Positionen sind vielleicht ambitioniert, jedoch versickert diese Ambition mit jeder Ebene immer mehr, so dass im Endeffekt nur sehr wenig davon übrig bleibt. Dadurch ist der Staatsbetrieb benachteiligt.

Würden Sie für einen Staatsbetrieb arbeiten, der die ideale Stelle für Sie zur Verfügung stellt?

Nein. Aber es liegt nicht an den Staatsbetrieben selbst. Die Betriebe sind Reflektionen der Probleme und Defizite der Gesellschaft. Der Prozess von einer „primitiven“ zu einer zivilisierten Gesellschaft findet immer noch statt.

Würde Sie von sich behaupten, als Chinese der beide Kulturen kennengelernt hat, dass Sie einen Punkt erreicht haben wo Sie sich in beiden Kulturen wohl fühlen?

Ich habe meine eigene Art damit umzugehen. Um mich vollständig in die chinesische Gesellschaft einzugliedern, muss ich sehr viel von dem, was ich in Deutschland gelernt habe, hinter mir lassen.

Ich habe in Deutschland einen zwischenmenschlichen Umgang kennengelernt, der in China keinen Platz hat. Diesen Preis muss ich hier zahlen. Aus diesem Grund wende ich mich bewusst von vielen Dingen ab, die gegen meine persönlichen Prinzipien verstoßen.

Die deutsche und die traditionelle chinesische Kultur, nicht die moderne Kultur, haben viele Gemeinsamkeiten bezüglich ihrer grundlegenden Überzeugungen. Dennoch unterscheidet sich die Art und Weise wie wir leben sehr.

Deshalb fällt es mir schwer, mich in die deutsche Kultur zu integrieren. Ich lebe zwischen zwei Welten.

Wie fühlt es sich an, keiner dieser Kulturen vollständig anzugehören?

Ich kann nur sagen,  es fühlt sich normal an, weil ich mein Dasein akzeptiert habe.

Verhalten sich alle bi-kulturellen Chinesen, die Sie kennen, ebenso?

Es kommt darauf an. Menschen, deren Umgebung sie dazu zwingt, sich aktiv an dem Geschehen um sie herum zu beteiligen, werden sich integrieren. Meine Situation erlaubt es mir zu wählen und deswegen habe ich mich dazu entschlossen, zwischen den Welten zu stehen.

Fällt es Ihnen leichter mit deutschen oder chinesischen Kollegen zu arbeiten?

Mit meinen deutschen Kollegen und Vorgesetzten gestaltet sich die gemeinsame Arbeit am einfachsten. Sie sind viel sachlicher als meine chinesischen Kollegen. Wir können sehr energische Diskussionen bis hin zum Streit führen, ohne dass dies irgendwelche Folgen für unsere weitere Zusammenarbeit hat.

Mit Chinesen ist dies viel komplizierter, ein Streit kann hier wirklich negative Konsequenzen nach sich ziehen.

Ich habe bereits viele Chinesen gefragt, ob sie stolz sind Chinese zu sein. Einige empfinden diese Frage als unangenehm und versuchen, ihr auszuweichen oder sie antworten nur indirekt. Was steckt ihrer Meinung nach dahinter und wie würden Sie diese Frage beantworten?

Nur eine selbstsichere Person wird sich den Tatsachen wirklich stellen und sich auch selbst kritisch sehen. Nur eine selbstsichere Gesellschaft kann auch Kritik von außerhalb ertragen.

Auch meine Einstellung hierzu ist zwiespältig. Als Chinese bin ich zuversichtlich und stolz auf unsere Kultur, Geschichte, Philosophie, Literatur und Kunst.

Allerdings müssen wir uns auch eingestehen, dass die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zum großen Teil nicht positiv verlief. Wenn dies doch eine anerkannte Tatsache ist, warum können wir dies nicht direkt benennen?

Sind Sie optimistisch bezüglich Chinas Zukunft?

Chinas derzeitige Situation wird von vielen Seiten aus regelrecht überhöht dargestellt. Aus meiner Sicht ist China von seiner Blütezeit immer noch weit entfernt.

Ich denke Chinas Gesellschaft ist nach einer Zeit der übermäßigen Fixierung auf finanzielle Aspekte nun in einer Phase der Leere angekommen, da sie (unter Mao) die Verbindungen zu vielen althergebrachten Traditionen und Gebräuchen durchtrennt hat.

Mehr und mehr Chinesen suchen inzwischen ihr Heil in spirituellen Ideen, wie Religionen, Glaubenslehren oder auch traditioneller chinesischer Kultur. Die Regierung hat eine gewisse Kontrolle über diese Vorgänge, kann den Trend jedoch nicht stoppen.

Sind Sie denn religiös? Glauben Sie an eine Religion?

Ich bin nicht religiös, habe jedoch die Bibel und auch einige buddhistische Schriften gelesen. Der Buddhismus erscheint den meisten Chinesen recht verständlich, ist aber auch strikt und strukturiert hinsichtlich der Glaubenslehre.

Problematisch an der Bibel ist, dass es hier einfach zu viele verschiedene Geschichten gibt, so dass Chinesen diese kaum alles verstehen oder glauben können.

Die größte Hürde für mich ist, dass ich viel arbeiten muss und sehr beschäftigt bin, so dass ich eigentlich gar keine Zeit habe, um mich damit wirklich intensiv zu beschäftigen.

Beabsichtigen Sie den Rest ihres Lebens in China zu verbringen?

Nein, ich werde mit Sicherheit nach Deutschland zurückkehren.

 

Das Interview führte Wei Fischer. Der Name “Jun Ren” wurde von der Redaktion geändert.

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