Über Sinn und Unsinn der Bluecard

Am 1. August 2012 wurde die Bluecard in Deutschland eingeführt. Sie soll den Zuzug von hochqualifizierten Nicht-EU-Ausländern erleichtern. Als Geschäftsführer einer auf die Rekrutierung von chinesischen Fachkräften spezialisierten Personalberatung werde ich oft gefragt, ob die Bluecard ein geeignetes Mittel ist, gute Fachkräfte nach Deutschland zu holen?

Gerne antworte ich darauf mit einer Gegenfrage: Ist das Anmieten einer Wohnung für junge Männer ein geeignetes Mittel, eine tolle Frau von der Familiengründung zu überzeugen?

Aber Spaß beiseite: Natürlich können keine Fachkräfte angeworben werden, wenn die Basisinstrumente für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis fehlen. Der Umkehrschluss allerdings, die Einführung der Bluecard, die diese Basisvoraussetzungen schaffen soll, führe umgehend zur Einwanderung guter Fachkräfte, wäre ein großer Irrtum.

Dazu bräuchte es ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Vor allem müsste erarbeitet werden, welche Qualifikationen und Profile in der deutschen Wirtschaft überhaupt gebraucht werden. Welche Ausbildung und Erfahrung die gewünschten Fachkräfte mitbringen müssen.

Sinnvollerweise sollten die Antworten auf diese Fragestellungen von den Arbeitgebern erarbeitet werden. Im günstigsten Fall unter Einbeziehung der wichtigsten Herkunftsländer: Auf dortige Staatskosten ausgebildete slowenische Ärzte systematisch nach Deutschland anzuwerben, wäre vielleicht nicht unbedingt der Königsweg.

Die Wünsche und Anforderungen müssten dann aber vor allem aktiv und in sympathischer Form dort bekannt gemacht werden, wo man die Fachkräfte zu finden hofft. Etwas Anstrengung in Richtung Willkommenskultur wäre auch hilfreich: Wenn die Menschen nach einigen Monaten oder Jahren – sozusagen nach der Einarbeitung – wieder zurückkehren oder weiterziehen, ist auch nicht viel erreicht.

Ausländische Fachkräfte möchten keine Gastarbeiter sein

Wir können aus vielen Jahren Erfahrungen mit ausländischen Akademikern lernen, die an deutschen Universitäten studiert haben: Sie kommen zum Erst- oder Zweitstudium nach Deutschland, lernen die Sprache, sind nach einigen Jahren im Land meist gut integriert und überaus qualifiziert.

Nach dem Studium haben sie als Nicht-EU-Bürger auch ohne Bluecard ein Aufenthaltsrecht, wenn Sie innerhalb eines Jahres nach erfolgreichem Studienabschluss eine angemessene Arbeit in Deutschland finden. Vielen gelingt das, sie arbeiten hier ein paar Jahre und trotzdem bleibt die überwiegende Zahl, vor allem die Leistungsstärksten, dann nicht dauerhaft in Deutschland. Warum ist das so?

Die deutsche Einwanderungserfahrung der letzten Jahrzehnte hat auch bei intelligenten Menschen zu eigenartigen Assoziationsketten geführt: Ausländische Fachkräfte klingt ein bisschen wie Gastarbeiter. Aber genau als solche werden die für die Wirtschaft attraktivsten, weil hoch motivierten und besonders leistungsfähigen, Menschen nicht nach Deutschland kommen.

Die jüngeren gut ausgebildeten Akademiker haben inzwischen fast überall auf der Welt einen globalen Mindset. Sie haben den gleichen Zugang zu Informationen, ähnliche Einstellungen und die gleichen Smartphones. Und sie fühlen sich ihren Altersgenossen anderer Nationalitäten ebenbürtig.

Ausländische Fachkräfte haben kaum Karrierechancen

In größerer Zahl werden ausländische High-Potentials nur dann nach Deutschland kommen, wenn sie hier die gleichen Perspektiven haben wie gleich qualifizierte Deutsche. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt: Führungskräfte mit Migrationshintergrund bilden Ausnahmen in der deutschen Wirtschaft, von Topmanagern gar nicht zu reden.

Wer als Ausländer in Deutschland in einer fremden Sprache studiert hat, müsste eigentlich bessere Chancen haben als die deutschen Kommilitonen. Immerhin verfügen diese über internationale Erfahrung, eine zusätzliche Sprache und einen großen interkulturellen Vorsprung. Denoch ist genau das Gegenteil der Fall. Wir haben – anders als etwa die Amerikaner – noch nicht realisiert, dass die Talente unter den Immigranten ein weitgehend ungenutztes Kapital bilden.

Wenn für die ausländischen Fachkräfte mit deutschen Abschlüssen der Weg nach oben so schwierig ist, wie steinig ist er dann erst für die Bluecard-Kandidaten? Sie haben andere Fächer mit abweichenden Inhalten studiert, sie müssen die deutsche Sprache meist erst lernen und sie haben häufig wenig Bezug zur deutschen Kultur.

Die um „Überfremdung“ Besorgten können sich derweil entspannen: Ausländische Fachkräfte werden den deutschen Mitbewerbern nicht viele Jobs „wegnehmen“. Da müssten wir mit ganz anderem Schwung an das Thema herangehen. Aber dafür gibt es zurzeit keinerlei Anzeichen – und auch keine machtvollen Personen, die ein solches Projekt zu ihrer Sache machen würden.